Sonnensteine

Die Sonnensteine von Bornholm

Die Sonnensteine von Bornholm zählen zu den außergewöhnlichsten archäologischen Funden Nordeuropas. Diese handgroßen Steinplatten, meist aus schwarzem Schiefer gefertigt, geben Einblick in das religiöse und kulturelle Selbstverständnis der jungsteinzeitlichen Gesellschaften im Ostseeraum. Ihre sorgfältig eingeritzten Ornamente, die Sonne und weitere geometrische Motive darstellen, wecken die Aufmerksamkeit von Forschenden auf der ganzen Welt und verdeutlichen zugleich den Stellenwert von Ritualen und Kosmologie in der späten Steinzeit.

Die Entdeckung der Sonnensteine konzentriert sich auf die archäologische Stätte Vasagård im Süden Bornholms, wo insgesamt 614 Exemplare geborgen wurden. Der Fundzeitraum lässt sich auf etwa 2900 v. Chr. festlegen – eine Epoche, in der die Trichterbecherkultur ihrem Ende entgegenging. Auffällig ist die räumliche Konzentration in zwei halbrunden Gräben der jungsteinzeitlichen Anlage, welche eine gezielte Deponierung oder kultische Handlung nahelegt. Manche Steine weisen Gebrauchsspuren auf, was darauf hindeutet, dass sie über einen gewissen Zeitraum hinweg von ihren Besitzern getragen wurden, bevor sie an einem sakralen Ort niedergelegt oder in zeremonielle Abläufe eingebunden wurden.

Die Ornamentik der Sonnensteine zeigt einerseits realitätsnahe Darstellungen der Sonnenscheibe und ihrer Strahlen, andererseits finden sich auch Felder und stilisierte Nutzpflanzen. Diese Motive deuten auf eine intensive Auseinandersetzung mit landwirtschaftlichen Zyklen und dem Lauf der Sonne hin, einem zentralen Element in der Glaubenswelt jungsteinzeitlicher Kulturen. Aus archäologischer Perspektive gewinnen die Sonnensteine damit eine doppelte Bedeutung: Sie fungieren als Spiegelbild ritueller Praktiken und dokumentieren zugleich das Wissen um Umwelt und Landwirtschaft. Die Tatsache, dass sie mit großer Sorgfalt gefertigt und in bedeutender Zahl hinterlassen wurden, unterstreicht den Einfluss von Himmelsbeobachtungen und Naturzyklen auf das Alltagsleben der damaligen Gemeinschaften.

Nicht zuletzt machen die Sonnensteine von Bornholm deutlich, wie eng spirituelle Vorstellungen und praktische Lebensführung in der Jungsteinzeit miteinander verwoben waren. Die sorgfältigen Gravuren und ihre wiederholte Deponierung in kultischen Kontexten legen nahe, dass die Sonne, als Symbol des Lichtes und der Fruchtbarkeit, eine zentrale Rolle bei Zeremonien und agrarischen Riten spielte. Aus heutiger Sicht sind sie damit nicht bloß ansprechende Zeugnisse prähistorischer Kunst, sondern auch Schlüsselobjekte für das Verständnis einer Gesellschaft, die vor rund 5000 Jahren auf Bornholm lebte und eine faszinierende Kombination aus Handwerk, Naturbeobachtung und religiöser Symbolik hervorbrachte.

Neue Erkenntnisse zu den Sonnensteinen von Bornholm

In ihrem Artikel „Sun stones and the darkened sun: Neolithic miniature art from the island of Bornholm, Denmark“ stellen Iversen und seine Mitautorinnen und Mitautoren einen umfangreichen Neufund jungsteinzeitlicher Miniaturkunst auf der dänischen Insel Bornholm vor. Im Zentrum stehen die „Sonnensteine“ – kleine, teils gerundete Steinplatten, meist aus lokalem Schiefer –, die im Rahmen von Ausgrabungen in den Gräben einer jungsteinzeitlichen Anlage auf Bornholm (speziell in Vasagård West) zutage kamen. Insgesamt wurden dort 614 vollständig oder fragmentarisch erhaltene Exemplare entdeckt, ergänzt durch einige weitere Funde von der nahegelegenen Fundstelle Rispebjerg. Die Datierung der Funde legt nahe, dass sie im Zeitraum um etwa 2900 v. Chr. deponiert wurden und damit ins Endstadium der Trichterbecherkultur (Funnel Beaker Culture) gehören.

Im Folgenden die wichtigsten Punkte und zentralen Erkenntnisse:

Sonnensteine: Fundort und Kontext

  • Die Sonnensteine stammen überwiegend aus zwei benachbarten, sogenannten „causewayed enclosures“ (Grabenanlagen mit Durchlässen) in Vasagård. Diese Anlagen wurden über längere Zeit genutzt und mehrfach umgestaltet.
  • Die Haupteinbringung der Sonnensteine erfolgt in einer relativ klar abgrenzbaren Schicht über einem Steinpflaster, das um 3000–2900 v. Chr. in den Gräben abgelagert wurde.
  • Ein Teil der Steine lag auch in Postlöchern rund um kreisförmige Strukturen („timber circles“). Diese Gebäude scheinen einen kultischen Charakter gehabt zu haben und sind zeitgleich mit der Einbringung der Sonnensteine anzusetzen.

Sonnensteine: Form und Material

  • Die meisten Steine sind aus schwarzem Schiefer oder weicherem Tonschiefer gefertigt. Zu einem geringen Teil fanden sich auch Exemplare aus Quarz oder Flint.
  • Häufig sind die Steine rund oder oval zugerichtet, zum Teil handelt es sich um Bruchstücke größerer Platten. Viele zeigen Frakturen, was eine Rekonstruktion der ursprünglichen Form erschwert.
  • Eine nicht unerhebliche Zahl an Steinen trägt gar keine Gravuren, was die Forschenden als „blank plaques“ bezeichnen. Ob sie absichtlich ohne Verzierung deponiert wurden oder ob die Ritzungen durch Delamination verloren gingen, bleibt offen.

Sonnensteine: Form und Material

  • Die Gravuren sind meist eingeritzt und zeigen vor allem zwei zentrale Motive: Sonnen- und Pflanzenmotive.
  • Sonnenmotive (Type 1): Meist kreisförmig angelegte Darstellungen mit Strahlen („Rays“), teilweise in Bändern oder kreisförmigen „Leitern“ ausgeführt. Manche weisen konzentrische Kreise oder Halbkreise auf.
  • Pflanzenmotive (Type 4): Hierbei handelt es sich oft um stilisierte Halme mit angedeuteten Blättern oder Ähren – ein Verweis auf Agrarsymbolik.
  • Daneben identifizierten die Autorinnen und Autoren weitere Untergruppen, etwa lineare „Bandmuster“ (Type 2), verschiedene Kreuz- oder Gitterornamente (Type 3) und sehr seltene Sondermotive wie punktartige Vertiefungen (cup marks) oder möglicherweise anthropomorphe Formen.
  • Ein Teil der Steine wirkt glattgeschliffen oder zeigt Brandspuren, was darauf hindeutet, dass sie vor ihrer Deponierung teils längere Zeit in Gebrauch waren.

Sonnensteine: Kulturelle Einordnung und Deutung

  • Die Datierung der Funde auf um 2900 v. Chr. fällt in eine Phase bedeutender gesellschaftlicher Umbrüche im nordeuropäischen Neolithikum. Sie entspricht dem Ausklang der klassischen Trichterbecherkultur, kurz bevor neue kulturelle Einflüsse (etwa die Schnurkeramische Kultur/Corded Ware) in Skandinavien auftauchen.
  • Die prominente Rolle der Sonne und die Darstellung von Nutzpflanzen sprechen dafür, dass die Steine mit landwirtschaftlichen Riten und Fruchtbarkeitsvorstellungen verknüpft waren: Sonne und Getreide galten als Schlüssel zum Überleben.
  • Da die Gravuren in großer Zahl innerhalb eines kurzen Zeitraums deponiert wurden, vermuten die Forschenden ein singuläres oder wenige Male wiederholtes Ritualgeschehen, vermutlich initiiert durch eine Krisensituation.

Sonnensteine: Mögliche klimatische Ursache: „darkened sun“

  • Aus Klima- und Eisbohrkernstudien sowie Baumringanalysen lässt sich ein signifikantes Kälteereignis um 2900 v. Chr. ablesen, ausgelöst durch einen großen Vulkanausbruch. Dieser könnte weltweit zu jahrelanger Abkühlung und Sonnenverdunkelung geführt haben.
  • Die Autorinnen und Autoren stellen die Hypothese auf, dass diese Klimakrise und die damit verbundenen Ernteausfälle die Menschen zu verstärkten rituellen Handlungen animiert haben könnten – ein Versuch, die Sonne „zurückzuholen“.
  • Die abrupten Eingriffe ins Bausystem (Aufgabe der Gräben, Errichtung von Palisaden und kultischen Strukturen) deuten auf eine dramatische Umbruchsphase hin, die möglicherweise mit dem Klimaschock zusammenfiel.

Sonnensteine: Bedeutung für die Jungsteinzeitforschung

Die „Sonnensteine“ von Bornholm dokumentieren eine kurze, aber intensive Phase ritueller Deponierungen. Sie wurden um 2900 v. Chr. in den Gräben und Pfostenlöchern einer neolithischen Anlage niedergelegt, parallel zu umfangreichen strukturellen Umbaumaßnahmen (Palisadenbau, „Kultgebäude“). Ornamentik und Kontext sprechen für agrarische Fruchtbarkeitsriten und eine symbolische Beschwörung der Sonne. Wahrscheinlich begünstigte ein – durch Vulkanausbrüche ausgelöstes – Klimadesaster diese rituellen Handlungen, die dem Schutz und Fortbestand der Gemeinschaft dienten. Die Bornholmer Funde bieten damit nicht nur einen seltenen Blick auf das religiös-kosmologische Denken der Endphase der Trichterbecherkultur, sondern veranschaulichen zugleich eindrucksvoll, wie empfindlich neolithische Gemeinschaften auf gravierende Umweltereignisse reagierten.


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